Die Reform des europäischen Asylsystems offenbart eine bedrückende Wende hin zur Verschärfung des Umgangs mit Schutzsuchenden. Inmitten dieser bedrohlichen Entwicklungen steht die Beschlussfassung vom 8. Juni 2023, die eine weitreichende Unterminierung des Flüchtlingsschutzes vorsieht. Diese Reform beinhaltet Vorschläge, die die moralische und rechtliche Verantwortung Europas gegenüber Menschen mit Fluchterfahrung in Frage stellen, wie die mögliche Abschiebung von Schutzsuchenden in Drittstaaten, die Einführung strengerer Grenzverfahren und die Verschärfung des Dublin-Systems.
Bemerkenswert ist die Kritik von über 50 Menschenrechtsorganisationen und Hunderten von Anwält*innen, die die Reformen als einen der gravierendsten Eingriffe in das Flüchtlingsrecht seit Jahrzehnten ansehen. Die Reform sieht unter anderem vor, dass Kinder in Grenzverfahren einbezogen und faktisch inhaftiert werden können, was einen direkten Angriff auf die Rechte und das Wohl von Kindern darstellt. Der so genannte Solidaritätsmechanismus, der es EU-Staaten ermöglicht, sich durch finanzielle Beiträge an Drittstaaten aus der Flüchtlingsaufnahme herauszukaufen, untergräbt das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung und Solidarität.
Besonders alarmierend ist die Ermächtigung zu Pushbacks und die Legitimierung dieser Praxis durch die Reform, was den Zugang zu einem fairen Asylverfahren weiter erschwert und die EU in Konflikt mit ihren eigenen humanitären Standards und internationalen Verpflichtungen bringt. Die Reform stellt somit nicht nur eine Verschärfung der bereits bestehenden restriktiven Maßnahmen dar, sondern signalisiert auch eine gefährliche Abkehr von den Grundwerten der Menschenrechte und der Solidarität.
Diese Entwicklungen fordern uns heraus, die grundlegenden Prinzipien von Schutz, Mitmenschlichkeit und internationaler Verantwortung neu zu bewerten und für eine Asylpolitik zu kämpfen, die die Würde und Rechte aller Menschen anerkennt und schützt.
Um die genannten Artikel und Reformvorschläge des europäischen Asylsystems klar und verständlich darzulegen, hier eine Zusammenfassung mit kurzen Erläuterungen:
1. Artikel 16a Grundgesetz:
(1) Gewährt politisch Verfolgten ein Recht auf Asyl.
(2) Einschränkung dieses Rechts, wenn die Person aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem als sicher eingestuften Drittstaat einreist, wobei aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch bei einem Widerspruch vollzogen werden können.
2. Asylverfahrensverordnung (AVVO):
Regelt die Verfahrensweisen im Asylprozess. Die Reformvorschläge sehen vor, dass Schutzsuchende direkt an den EU-Außengrenzen in sogenannten Grenzverfahren geprüft und möglicherweise zurückgewiesen werden können.
3. Asyl- und Migrationsmanagementverordnung (RAMM):
Ziel ist es, das Management von Asyl- und Migrationsverfahren innerhalb der EU zu optimieren. Die Reform sieht unter anderem vor, dass bestimmte Gruppen, wie Kinder, von Grenzverfahren ausgenommen werden sollen, was in der Praxis jedoch nicht immer umgesetzt wird.
4. Dublin-System:
Bestimmt, welcher EU-Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Die Reformvorschläge intendieren eine Verschärfung dieses Systems, indem Überstellungsfristen verlängert und der Rechtsschutz für Asylsuchende eingeschränkt wird.
Statt der verpflichtenden Aufnahme von Menschen mit Fluchterfahrung könnten EU-Staaten durch finanzielle Beiträge an Drittstaaten ihrer Verantwortung entgehen. Dies untergräbt das Prinzip der gerechten Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU.
6. Instrumentalisierungsverordnung und Krisen-Verordnung:
Vorgeschlagene Mechanismen, die es ermöglichen würden, Asylverfahren zu umgehen und Pushbacks zu legitimieren, was den Zugang zu einem fairen Asylverfahren erheblich erschweren könnte.
7. Artikel 41e AVVO:
Regelt die Anwendung von Grenzverfahren, einschließlich der Bedingungen, unter denen Minderjährige diesen Verfahren unterzogen werden können. Die Reform schlägt vor, unbegleitete Kinder von diesen Verfahren auszunehmen, lässt jedoch die Tür für die Inhaftierung anderer Minderjähriger offen.
8. Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention:
Verbietet die Bestrafung von Personen, die aus einem begründeten Verfolgungszustand fliehen und auf irreguläre Weise ein Land betreten, um Asyl zu beantragen. Dieser Artikel steht im Konflikt mit den Reformvorschlägen, die darauf abzielen, den Zugang zu Asylverfahren zu erschweren.
Diese Artikel und Reformvorschläge zeigen, wie tiefgreifend die geplanten Änderungen das Recht auf Asyl und den Schutz von Menschen mit Fluchterfahrung in Europa beeinflussen könnten. Sie verdeutlichen eine Verschiebung hin zu einer restriktiveren, abschottenden und selektiven Asylpolitik, die den internationalen Menschenrechtsstandards zuwiderläuft und die Solidarität innerhalb der EU untergräbt.